Anne von Frankreich macht Geschichte
Anne von Frankreich und ihr Gatte, Peter II. von Bourbon, reisten im Jahr 1483 in einer Kutsche durch das flirrende Blau des Augusts. Zu beiden Seiten der Landstraβe waren Bäume gepflanzt. Rund und prall standen Heuhaufen auf den gemähten Wiesen dahinter und das Korn wogte golden im Wind.
„Welch ein schöner Tag und ausgerechnet heute hat uns Vater zu sich bestellt. Ich würde viel lieber mit dir auf die Jagd gehen!“, seufzte Anne. Peter tätschelte die Hand seiner Gattin. „Was wird wohl dein Vater so plötzlich von uns wollen? Hat der Eilbote, dir gestern nicht etwas angedeutet?“
„Nun ja, es war sein Barbier, ein einfacher Mann, der sein volles Vertrauen genieβt. Als ich ihm einen feinen Tropfen vorgesetzt habe - du kennst ja Vaters Geiz, an seinem Hof wird nur saurer Wein geschonken - ist der Barbier etwas gesprächiger geworden.“
„Hat er etwas über Ludwigs Gesundheit ausgeplaudert?“
Anne nickte: „Vater ist seit seinem letzten Schlaganfall im Januar am linken Arm und Bein gelähmt. Aber sein Verstand ist wach und er kann sprechen.“
„Eigenartig, in den letzten Monaten hat er unseren Besuch immer entschieden abgelehnt. Hinterlistig, wie er ist, könnte uns dieser alte Fuchs heute in sein Intrigennetz locken. Aber wir werden einen kühlen Kopf bewahren, nicht wahr, mein Schatz ?“
„Gewiss! Nachdem ich dem Boten noch ein zweites Glas Wein angeboten habe, hat er mir verraten, dass auf Ludwigs Geheiβ die Diener in seinem Schlafgemach alle Jagdtrophäen von den Wänden entfernt haben und nun sind sie mit Reliquien geschmückt!“ Eine leichte Röte überzog Annes Wangen. „Vater soll noch geflucht haben, dass diese Gegenstände ihm ein Vermögen gekostet haben. Er hat sogar gedroht, diesen kalabrischen Bettelmönch, der ihm eingeredet hat, dass diese Reliquien sein Leben verlängern würden, in einen Käfig einzusperren, falls sich sein Zustand nicht bessert .“
Peter grinste. „Nun ist dein Vater noch kauziger geworden! Ludwig XI., ein leidenschaftlicher Jäger, der bei Empfängen in schlichter Jagdtracht erschienen ist, um die höfische Gesellschaft vor den Kopf zu stoβen, hat sich auf einen Kuhhandel mit den Heiligen eingelassen!“
Plötzlich hielt die Kutsche an. Ein bestialischer Gestank wehte durch die geöffneten Fenster. Sie blickten hinaus. Beide Seiten der Straβe waren mit Galgen bepflanzt, an denen noch Leichen hingen. Der Kutscher und die Gardisten knieten nieder und bekreuzigten sich. Danach setzten sie die Reise fort.
Anne war das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Peter ergriff ihre Hand: „Das geschieht mit Ludwigs Untertanen, wenn sie nicht nach seiner Pfeiffe tanzen! Aber wir lassen uns heute zu nichts zwingen!“
„Eigentlich ist mir Vater von Herzen zuwider!“, brach es aus Anne heraus. Peter strich ihr über die Hand und sie schwiegen eine Weile.
Am Horizont erhoben sich bereits die Türme von Plessis-lès-Tours, Ludwigs Residenz.
„Nun ja, es war sein Barbier, ein einfacher Mann, der sein volles Vertrauen genieβt. Als ich ihm einen feinen Tropfen vorgesetzt habe - du kennst ja Vaters Geiz, an seinem Hof wird nur saurer Wein geschonken - ist der Barbier etwas gesprächiger geworden.“
„Hat er etwas über Ludwigs Gesundheit ausgeplaudert?“
Anne nickte: „Vater ist seit seinem letzten Schlaganfall im Januar am linken Arm und Bein gelähmt. Aber sein Verstand ist wach und er kann sprechen.“
„Eigenartig, in den letzten Monaten hat er unseren Besuch immer entschieden abgelehnt. Hinterlistig, wie er ist, könnte uns dieser alte Fuchs heute in sein Intrigennetz locken. Aber wir werden einen kühlen Kopf bewahren, nicht wahr, mein Schatz ?“
„Gewiss! Nachdem ich dem Boten noch ein zweites Glas Wein angeboten habe, hat er mir verraten, dass auf Ludwigs Geheiβ die Diener in seinem Schlafgemach alle Jagdtrophäen von den Wänden entfernt haben und nun sind sie mit Reliquien geschmückt!“ Eine leichte Röte überzog Annes Wangen. „Vater soll noch geflucht haben, dass diese Gegenstände ihm ein Vermögen gekostet haben. Er hat sogar gedroht, diesen kalabrischen Bettelmönch, der ihm eingeredet hat, dass diese Reliquien sein Leben verlängern würden, in einen Käfig einzusperren, falls sich sein Zustand nicht bessert .“
Peter grinste. „Nun ist dein Vater noch kauziger geworden! Ludwig XI., ein leidenschaftlicher Jäger, der bei Empfängen in schlichter Jagdtracht erschienen ist, um die höfische Gesellschaft vor den Kopf zu stoβen, hat sich auf einen Kuhhandel mit den Heiligen eingelassen!“
Plötzlich hielt die Kutsche an. Ein bestialischer Gestank wehte durch die geöffneten Fenster. Sie blickten hinaus. Beide Seiten der Straβe waren mit Galgen bepflanzt, an denen noch Leichen hingen. Der Kutscher und die Gardisten knieten nieder und bekreuzigten sich. Danach setzten sie die Reise fort.
Anne war das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Peter ergriff ihre Hand: „Das geschieht mit Ludwigs Untertanen, wenn sie nicht nach seiner Pfeiffe tanzen! Aber wir lassen uns heute zu nichts zwingen!“
„Eigentlich ist mir Vater von Herzen zuwider!“, brach es aus Anne heraus. Peter strich ihr über die Hand und sie schwiegen eine Weile.
Am Horizont erhoben sich bereits die Türme von Plessis-lès-Tours, Ludwigs Residenz.
Die Räder der Kutsche rumpelten durch die Torbogen der Wehrmauern und unter Pferdegewieher kam sie zum Stehen. Unzählige Soldatenstiefel stampften auf das Pflaster des Burghofs, untermalt mit lautem Gebell von Ludwigs Bluthunden.
„Ich habe nicht gewusst, dass Vater so misstrauisch geworden ist, dass er sich von einer Hundertschaft bewachen lässt!“, entschlüpfte es Anne, während Peter ihr den Arm bot. Wachen geleiteten sie zu Ludwigs Schlafgemach.
Der König ruhte auf einer einfachen Lagerstätte. Menschliche Ausdünstungen und Weihrauch stachen ihnen in die Nase. Der Raum lag im Halbdunkel, nur einige Kerzen spendeten Licht. Anne eilte mit raschelnden Röcken zu ihrem Vater. Als sie sich verneigte, fiel ihr Blick auf sein Gesicht. Es war fahl wie eine Wachskerze. Die aufgedunsenen Wangen vergröβerten seine Nase und lieβen ihn wie einen Gnom aussehen. Sie küsste seine rechte Hand. Peter sank ebenfalls tief in die Knie.
„Nehmt Platz, meine Lieben!“, sagte er langsam mit heiserer Stimme und wies mit der rechten Hand auf zwei Lehnstühle in der Nähe seines Betts. „Ich habe euch rufen lassen, da auch ich auf das Rad der Zeit gebunden bin. Falls mir die Reliquien der Heiligen das Leben nicht verlängern“, er wies auf die Wände an denen Knochen, Stoffreste, Phiolen und Kreuzsplitter hingen, „wünsche ich, dass ihr mein Lebenswerk verwaltet, bis Karl imstande ist zu regieren.“ Gespannt beobachtete er das Mienenspiel seiner Tochter und seines Schwiegersohns.
Eine Weile sagten sie kein Wort. Was ging in ihren Köpfen vor? Welche Wirkung löste seine Entscheidung in ihnen aus?
Schlieβlich löste sich Anne aus der Starre und rang sich ein knappes Lächeln ab: „Vater, wir hoffen, dass Ihr noch lange dieses Land regiert, das Ihr so groβ gemacht habt!“
Ein Diener betrat den Raum und balancierte auf einem Tablett eine Karaffe Wein mit zwei Römergläsern. Er füllte sie und stellte sie auf den Tisch zwischen den Lehnstühlen.
„Auf Euer Wohl!“, krächzte Ludwig. Gehorsam nippten sie an dem sauren Wein.
„Es ist ein feines Tröpfchen, nicht wahr?“ Anne und Peter nickten.
Anne belauerte Ludwig. Kein Wort kam über seine Lippen.
„Vater, um das Land bis zur Volljährigkeit meines Bruders zu regieren, bräuchten wir Vollmachten!“
„Die werde ich euch nicht geben!“
Ludwigs Worte trafen Anne und Peter wie Nägel. Er stierte die beiden eine Weile stumm an. Man konnte die Spannung, die in der Luft lag, beinahe mit Händen greifen.
„Weshalb wohl nicht?“ Ludwig spie die Worte aus wie Erbrochenes.
Erst schwach wie ein Schimmer, dann hell und heller leuchtete das Begreifen in Annes Augen. „Weil der Herzog der Bretagne, Ludwig von Orléans und Peters Bruder sich sofort erheben und Anspruch auf die Regierung machen würden?“
Ein zynisches Lächeln stahl sich auf Ludwigs rechten Mundwinkel.
Annes Miene verriet eine unbeirrbare Entschlossenheit. „Nun gut, dann stellen wir diese Herren vor vollendete Tatsachen!“
Ludwig grinste zufrieden und hing an ihren Lippen.
„Wir berufen die Stände ein und lassen sie unsere Rechtmäβigkeit anerkennen. Wenn der Preis stimmt, geben sie schon ihre Zustimmung!“
„Du bist wohl die schlauste Frau Frankreichs!“
Anne lächelte zufrieden. Das war das erste Mal, dass ihr Vater sie mit Respekt behandelte.
„Mein Wunsch ist, dass du regierst, Anne, und Peter die Truppen befehligt!“
Beide nickten zustimmend.
Hastig wischte sich Ludwig ein kleines Rinnsal weg, das aus seinem linken Mundwinkel floss. „Wie entwickelt sich Karl?“
„Latein spricht er noch immer nicht. Aber das Kriegshandwerk liegt ihm. Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis er die Kunst des Regierens beherrscht.“
Plötzlich wich alles Blut aus Ludwigs Gesicht. Er steunte leise. Kraftlos hing ihm der linke Unterkiefer herab. Er hob die rechte Hand zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war.
Mit stolz erhobenen Häuptern stiegen Anne und Peter die Treppenstufen hinab und strebten durch eine breite Pforte in das helle Nachmittagslicht hinaus. Ein Hochgefühl breitete sich in Anne aus. Nun konnte sie Frankreich ihren Stempel aufdrücken.
„Ich habe nicht gewusst, dass Vater so misstrauisch geworden ist, dass er sich von einer Hundertschaft bewachen lässt!“, entschlüpfte es Anne, während Peter ihr den Arm bot. Wachen geleiteten sie zu Ludwigs Schlafgemach.
Der König ruhte auf einer einfachen Lagerstätte. Menschliche Ausdünstungen und Weihrauch stachen ihnen in die Nase. Der Raum lag im Halbdunkel, nur einige Kerzen spendeten Licht. Anne eilte mit raschelnden Röcken zu ihrem Vater. Als sie sich verneigte, fiel ihr Blick auf sein Gesicht. Es war fahl wie eine Wachskerze. Die aufgedunsenen Wangen vergröβerten seine Nase und lieβen ihn wie einen Gnom aussehen. Sie küsste seine rechte Hand. Peter sank ebenfalls tief in die Knie.
„Nehmt Platz, meine Lieben!“, sagte er langsam mit heiserer Stimme und wies mit der rechten Hand auf zwei Lehnstühle in der Nähe seines Betts. „Ich habe euch rufen lassen, da auch ich auf das Rad der Zeit gebunden bin. Falls mir die Reliquien der Heiligen das Leben nicht verlängern“, er wies auf die Wände an denen Knochen, Stoffreste, Phiolen und Kreuzsplitter hingen, „wünsche ich, dass ihr mein Lebenswerk verwaltet, bis Karl imstande ist zu regieren.“ Gespannt beobachtete er das Mienenspiel seiner Tochter und seines Schwiegersohns.
Eine Weile sagten sie kein Wort. Was ging in ihren Köpfen vor? Welche Wirkung löste seine Entscheidung in ihnen aus?
Schlieβlich löste sich Anne aus der Starre und rang sich ein knappes Lächeln ab: „Vater, wir hoffen, dass Ihr noch lange dieses Land regiert, das Ihr so groβ gemacht habt!“
Ein Diener betrat den Raum und balancierte auf einem Tablett eine Karaffe Wein mit zwei Römergläsern. Er füllte sie und stellte sie auf den Tisch zwischen den Lehnstühlen.
„Auf Euer Wohl!“, krächzte Ludwig. Gehorsam nippten sie an dem sauren Wein.
„Es ist ein feines Tröpfchen, nicht wahr?“ Anne und Peter nickten.
Anne belauerte Ludwig. Kein Wort kam über seine Lippen.
„Vater, um das Land bis zur Volljährigkeit meines Bruders zu regieren, bräuchten wir Vollmachten!“
„Die werde ich euch nicht geben!“
Ludwigs Worte trafen Anne und Peter wie Nägel. Er stierte die beiden eine Weile stumm an. Man konnte die Spannung, die in der Luft lag, beinahe mit Händen greifen.
„Weshalb wohl nicht?“ Ludwig spie die Worte aus wie Erbrochenes.
Erst schwach wie ein Schimmer, dann hell und heller leuchtete das Begreifen in Annes Augen. „Weil der Herzog der Bretagne, Ludwig von Orléans und Peters Bruder sich sofort erheben und Anspruch auf die Regierung machen würden?“
Ein zynisches Lächeln stahl sich auf Ludwigs rechten Mundwinkel.
Annes Miene verriet eine unbeirrbare Entschlossenheit. „Nun gut, dann stellen wir diese Herren vor vollendete Tatsachen!“
Ludwig grinste zufrieden und hing an ihren Lippen.
„Wir berufen die Stände ein und lassen sie unsere Rechtmäβigkeit anerkennen. Wenn der Preis stimmt, geben sie schon ihre Zustimmung!“
„Du bist wohl die schlauste Frau Frankreichs!“
Anne lächelte zufrieden. Das war das erste Mal, dass ihr Vater sie mit Respekt behandelte.
„Mein Wunsch ist, dass du regierst, Anne, und Peter die Truppen befehligt!“
Beide nickten zustimmend.
Hastig wischte sich Ludwig ein kleines Rinnsal weg, das aus seinem linken Mundwinkel floss. „Wie entwickelt sich Karl?“
„Latein spricht er noch immer nicht. Aber das Kriegshandwerk liegt ihm. Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis er die Kunst des Regierens beherrscht.“
Plötzlich wich alles Blut aus Ludwigs Gesicht. Er steunte leise. Kraftlos hing ihm der linke Unterkiefer herab. Er hob die rechte Hand zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war.
Mit stolz erhobenen Häuptern stiegen Anne und Peter die Treppenstufen hinab und strebten durch eine breite Pforte in das helle Nachmittagslicht hinaus. Ein Hochgefühl breitete sich in Anne aus. Nun konnte sie Frankreich ihren Stempel aufdrücken.
Anne regierte acht Jahre für ihren Bruder. Obwohl die Stände die Rechtmäβigkeit ihrer Regentschaft bestätigten, musste sie gegen innere und äussere Widersacher kämpfen. Ein Triumph war Karls Hochzeit mit der Erbin der Bretagne. Um dieses Herzogtum Frankreich einzuverleiben, waren ihr alle Mittel recht. Sie verstieβ Karls bisherige Gattin, Margarete von Österreich und lieβ sie gefangen nehmen.