Leseprobe
1. Verstoßung der Königin
Ein Krachen, ein Klirren, Hufschlag und Männerstimmen rissen Margot und Aline aus dem Schlaf. Die Uhr auf dem Kaminsims zeigte im Licht der Kerzen die dritte Morgenstunde an. Hastig schlugen die beiden jungen Frauen die warmen Brokatdecken zurück und sprangen aus den Himmelbetten. Sie stürzten zum Fenster und rückten den schweren Samtvorhang zur Seite. Als Margot in den Hof spähte, verdoppelte sich ihr Herzschlag: Fackeln erleuchteten gespenstisch die Nacht. Amboises Innenhof wimmelte von Soldaten. Fuhrwerke rumpelten durch die Tore.
Angst stieg in ihr auf. Ihr Blick fiel auf die Schilder der Soldaten: Lilien auf einem blauen Hintergrund. Die Leibgarde ihres Gatten! Hatte Charles sie trotz seines Versprechens doch fallen gelassen? Zehn Jahre schon währte ihre Kinderehe und sie hatte sich allmählich an den missgestalteten Charles gewöhnt. Im nächsten Jahr sollte die Ehe vollzogen werden. Der Vorstoß ihres Vaters in die Bretagne und seine Verlobung mit deren Herzogin hatten aber alles infrage gestellt.
Wollte ihr Gatte sie bei Nacht und Nebel aus Amboise fortschaffen, um die Braut ihres Vaters zu ehelichen, sodass er sich die Bretagne unter den Nagel reißen konnte?
Ein kalter Schauder lief Margot den Rücken herunter. Sie fühlte sich, wie zu einem Nichts geschrumpft.
Da packte Aline sie am Arm und zog sie weg vom Fenster. »Wir müssen uns ankleiden!«, rief sie heiser vor Aufregung. »Charles’ Männer werden gleich hier sein und uns holen! Wir werden ihnen nicht die Genugtuung gönnen, uns im Hemd aus dem Schloss zu schleifen.«
Während Aline Margot mit zittrigen Händen das Mieder zuschnürte, polterten schwere Stiefel die Treppen hinauf.
Als Aline die Haube an Margots goldblondem Haar befestigte, flüsterte sie ihr noch zu: »Vergiss nicht, du bist noch immer Frankreichs Königin!«
»Euer Ehren«, hörten sie Madame de Segré im Vorraum rufen. »Lasst den Damen Zeit, sich zu bekleiden. Ich flehe Euch an, wahren Sie Anstand und Würde!«
Vergeblich.
Die schwere Eichentür wurde aufgerissen. Flankiert von vier grobschlächtigen Gardisten, baute sich der Chevalier de Vesc, Charles’ Lieblingskumpane und ehemaliger Stallknecht, vor Margot auf. Sein Haar war zerzaust, am Gürtel seines Wamses blitzte ein silberner Dolch.
Schweißgeruch und Schnapsatem erfüllten den Raum.
»Im Namen unseres Königs verhafte ich Euch, Margarete von Österreich! Wir werden Euch nach Mélun bringen und dort als Geisel verwahren, bis sich König Maximilian mit König Charles einigt.«
De Vescs rüpelhaftes Benehmen trieb Margot das Blut in die Wangen, doch sie kämpfte ihren Zorn nie-
der. Sie richtete sich kerzengerade auf und streckte ihm hoheitsvoll die Hand entgegen. »Lasst die Order sehen!«
Ärgerlich warf er den Kopf zurück, kramte aber dann in seinem Wams und händigte ihr ein zerknittertes Papier mit königlichem Siegel aus. Mit gespielter Ruhe entfaltete Margot das Schreiben. Die Buchstaben tanzten ihr vor den Augen. Sie bezwang sich und las den Text. De Vesc führte tatsächlich Charles’ Befehl aus.
Aber Margot wollte nicht aufgeben. Da gab es ja noch Anne, ihre Schwägerin. »Könnte ich kurz Madame de Beaujeu sprechen?«, wandte sie sich mit einem gewinnenden Lächeln an den Chevalier. Speicheltropfen flogen aus de Vescs Mund, als er trunken vor Macht loslegte: »Die kann Euch nicht mehr helfen. Begreift Ihr denn nicht, dass es aus ist mit der Weiberwirtschaft in Frankreich! … Endlich hat der König das Sagen. Er ist der Gängelei seiner Schwester überdrüssig. Auch sie sollten wir festnehmen, hätte sie sich nicht gestern aus den Staub gemacht.«
Anne hatte sie also fallen gelassen, um sich selbst zu retten. Margot fühlte, als wäre sie über den Rand eines Abgrunds getreten. Nur jetzt nicht weinen, Haltung bewahren!
»Der König lässt Euch ausrichten, dass die Schuld an allem Euer Vater trägt. Hätte er nicht den verräterischen Plan mit der Bretagne ausgeheckt, wäret Ihr jetzt noch unsere Königin.« Er schnalzte verächtlich mit der Zunge und schrie: »Ab geht’s zur Kutsche!«
In aller Eile betrat Madame de Segré den Raum, bewaffnet mit zwei warmen Mänteln. Schweigend reichte sie den einen Aline und trat mit dem anderen auf Margot zu.
Der Zorn über das, was Charles ihr angetan hatte, gab Margot Kraft. Sie wandte sich ab von de Vesc, als sei er nur ein Bote. Mit einem Nicken bedeutete sie ihrer Gouvernante, näher zu treten. »Würdet Ihr mir die Schatulle, die auf der Truhe liegt, holen? Sie enthält ein Geschenk meines Vaters. Der Chevalier hat zwar kein Benehmen, aber er ist sicherlich kein Dieb.«
De Vescs Nasenflügel bebten vor Zorn.
Madame de Segré legte den hermelinverbrämten Mantel behutsam auf einen Stuhl, eilte zur Truhe und reichte Margot die Schatulle. Margot öffnete sie mit einer eleganten Bewegung und entnahm das Geschmeide. Sie ersuchte ihre Gouvernante, es ihr anzulegen. Ein goldenes Collier mit funkelnden Rubinen zierte ihren Hals. Dem Chevalier gingen die Augen über, als er die Juwelen sah, die ihm als Beute entgangen waren. »Abmarsch!«, schnaubte er wütend.
Die Sporen klirrten auf den Marmorfließen, als die Männer Margot und ihre Begleitung auf den Hof trieben. Eine Woge der Ohnmacht überrollte Margot. Würde ihr Vater sie retten? Zusammen mit ihren Damen kletterte sie in den Innenraum der Kutsche, die sich sogleich rumpelnd in Bewegung setzte. Sie rollten den steilen Schlossweg von Amboise hinab, hinaus in die eisige Winternacht.
***
Wie wuchtige Eiszapfen ragten Innsbrucks Wehrtürme in den nächtlichen Himmel auf. Schwere Schneeflocken fielen auf die Stadt nieder, überzogen die Dächer, Gassen und Stege und umhüllten die Plätze mit einer nasskalten Decke. Am Neuhof unter den Arkaden drehten Wachposten zähneklappernd ihre Runden. König Maximilian war nach seinem Sieg über die Ungarn geradewegs nach Innsbruck gereist, um sich von den Strapazen des Kriegs zu erholen. Ein Wachmann trat aus dem Laubengang und inspizierte die Fassade des vierstöckigen Palais. Zufrieden rieb er sich die Hände, als er den anderen zurief: »In den Erkern sind die Lichter aus. Die Kanzlei macht Feierabend. Ruft die innere Bewachung zur Ablöse. Auf geht’s in die warme Stube!«
Trotz der nächtlichen Ruhe im Palais konnte König Maximilian in seinem Gemach den Schlaf nicht finden. Er wälzte sich herum im Eichenbett, sodass die Bettpfosten ächzten. Seine Gedanken kreisten immer um dasselbe Ziel: die Vorherrschaft im Abendland. Die Ungarn hatte er besiegt und er konnte sich dem Westen zuwenden, der Bretagne und den burgundischen Ländern. Seine französischen Erzrivalen zwänge er nun endgültig in die Knie. Die Bretagne war ihm durch die Heirat mit der blutjungen Erbin zugefallen, genauso wie die Niederlande und Burgund nach dem Tod seiner geliebten Maria.
Was für Opfer brachte er doch, um seine Sendung zu vollziehen! Heiraten hatte er nicht mehr wollen. Schlafweiber halfen ihm über einsame Momente hinweg. Aber diese Bretonin war hartnäckig. Sein Eingreifen in der Bretagne gegen Frankreich sollte er durch eine Ehe mit ihr besiegeln. Nur auf diese Weise könne sie seines Schutzes sicher sein. Er dagegen beabsichtigte nur, die Franzosen in die Zange zu nehmen, die sich dieses Land aneignen wollten. Frankreich sollte nicht noch mächtiger werden!
Die Wut kroch in ihm hoch. Er ballte die Fäuste, als er an den Schandvertrag von Arras dachte. Über seinen Kopf hinweg hatten die niederländischen Stände in den Wirren nach dem Tod seiner Gattin einen Frieden mit Frankreich ausgehandelt. Nicht nur die burgundischen Länder hatten sie dem französischen König in den Rachen geworfen, sondern sie verschacherten auch seine dreijährige Tochter als Braut des verkrüppelten Dauphins.
Nun konnte er sich rächen! Mit der bretonischen Heirat wischte er den Franzosen eins aus. Wenn nur sein Gesandter von Polheim den Auftrag, die Ehe in Stellvertretung einzugehen, schnell erledigte! Maximilian gähnte laut. Seine Glieder schmerzten. Könnte ihm ein Schlaftrunk helfen? Er klingelte einem Diener und bat ihn darum.
Kurz danach reichte ihm der Mann einen Becher mit dem Getränk. Der Geruch von Kamille, Melisse vermischt mit Schnaps stieg Maximilian angenehm in die Nase. Er dankte dem Lakai mit einer Handbewegung und trank den Becher in ein paar Zügen aus. Wohlige Wärme durchströmte seinen Körper, als er sich entspannt im Bett ausstreckte. Der Schlaf übermannte ihn. Er träumte vom Papst in Rom, der ihm unter berauschenden Chorgesängen die Kaiserkrone aufs Haupt setzte.
Vom Fenster drang Tageslicht in das Schlafgemach, als ihn der Diener weckte. Maximilian gab sich einen Ruck, wandte sich aus den verschwitzten Laken und stand auf.
Bald danach begab er sich in das Audienzzimmer und ließ sich froh gelaunt in einem Lehnstuhl nieder. Das Feuer im Kamin knisterte und sorgte für wohltuende Wärme. Mit Genuss löffelte er die dampfende Suppe, die ihm ein Lakai reichte. Gleich käme sein Sekretär, um mit ihm die Tagesgeschäfte zu besprechen.
Er musste eingenickt sein, denn eine Hand rüttelte ihn am Arm. Als er aufschaute, war es nicht der Sekretär, sondern sein Freund und Gesandter Wolfgang von Polheim. Die Vorahnung von etwas Unangenehmen beschlich ihn, da von Polheim in Reisekleidung mit von Lehm beschmutzten Stiefeln vor ihm stand.
Er bedeutete seinem Freund mit einer Handbewegung, im gegenüberliegenden Stuhl Platz zu nehmen. »Also, was ist geschehen, heraus mit der Sprache und keine Schönfärbereien!«
»Du hast es noch nicht erfahren?«, seufzte von Polheim und senkte den Blick. Dann straffte er sich und begann mit dem Bericht. »Während du deinem Vater in den Erblanden zu Hilfe geeilt bist, sind die Franzosen in der Bretagne einmarschiert. Plündernd und brandschatzend sind sie durchs Land gezogen und haben Rennes belagert. Unsere Mannschaften hätten die Stadt nicht verteidigen können. Da lud König Charles deine Gattin zu einem geheimen Gespräch ein. Am nächsten Morgen weckten uns die Festglocken. Die Verlobung von Anne de Bretagne mit Charles de Valois ist vollendete Tatsache, mein Freund! Wir Österreicher haben in Windeseile den Hof verlassen.«
Maximilian sprang aus dem Lehnstuhl auf. Er rannte ziellos im Raum umher. Seine Augen funkelten unter den buschigen Augenbrauen, als seine geballte Faust auf der marmornen Tischplatte landete. »Eine solche Schande ist noch keinem römischen König widerfahren! Was haben sie mit meiner Margot gemacht?«
»Den Berichten zufolge hat Charles sie in der Festung von Mélun eingeschlossen, nachdem der Bischof von Rennes ihre Ehe für nichtig erklärt hat. Charles wird um jedes einzelne Land ihrer Mitgift feilschen wollen und behält sie deswegen als Geisel.«
Maximilian umklammerte mit beiden Händen den Rand der Tischplatte. Sein kräftiges Kinn schob sich noch ein Stück weiter nach vorn. »So, schachern will der Valois mit mir? Wen denkt er, dass er vor sich hat, einen venezianischen Krämer? … Zweifach hat er mich hintergangen. Das muss mit Blut abgewaschen werden! Am liebsten forderte ich ihn vor aller Welt zum Zweikampf heraus! Aber ein Krüppel ist kein angemessener Gegner.«
Von Polheim stand auf, ging auf Maximilian zu und legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Lass Flugschriften im Reich verbreiten und prangere darin die Übeltaten des Franzosen an. Brautraub, Verstoßung und Diebstahl gelten noch immer als schwerwiegende Verbrechen.«
»Du meinst, dass man mir helfen wird, Truppen aufzustellen?«
»Zweifellos, denn du kämpfst für eine rechtmäßige Sache. Nur musst du dich gedulden!«
Maximilians Züge erhellten sich. Er bedachte von Polheim mit einem dankbaren Blick. »Zwar juckt es mich, die Franzosen sofort aus Burgund herauszuprügeln und Margot zu befreien, aber mit meinen Tirolern bin ich ihnen nicht gewachsen.«
»Unterhandle mit den Reichsfürsten! Nur gegen klingende Münzen riskieren Landsknechte ihr Leben. Deine Tochter ist in Frankreich aufgewachsen. Man wird ihr kaum etwas zuleide tun. Die Burgunder leben seit Jahren unter französischem Joch. Sie können noch etwas ausharren, bis wir sie befreien.« Maximilian nickte. »Dein Plan gefällt mir! Nach der Schneeschmelze ziehen wir ins Reich und dann geht es nach Burgund mit einem bis an die Zähne bewaffneten Heer!«